Clarissa ist ungeheuer dick und ungeheuer sympathisch. Wenn sie um die Ecke des Küchentrakts von Lennoxlove House fegt und ihre Gäste fragt, was sie essen möchten, ist man von der ersten Minute an in ihren Bann gezogen. Lennoxlove House ist eigentlich ein Schloss bei dem Städtchens Haddington - eines von vielen im Süden Schottlands. Es liegt in einem großen Park und man kommt hierher, um sich in die schottische Historie einzuarbeiten. Da dies nicht ganz einfach ist, tut man gut daran, erst einmal Clarissas Scones zu probieren.
Scones sind kalorienreiche süße Brötchen, die mit Himbeermarmelade und dicker Sahne bestrichen, einen die anschließende Führung durch das Herrenhaus besser überstehen lassen. Lennoxlove House ist seit dem 14. Jahrhundert der Sitz der Dukes of Hamilton - der derzeitige Herzog sammelt Motorrad-Oldtimer und bewahrt ansonsten die umfangreiche Kunstsammlung seiner Vorfahren für die Nachwelt. Er schreibt auch Bücher, früher war er Flieger.
Es ist heutzutage nicht einfach, einen solch großen Besitz zu erhalten. Deshalb sind viele Angehörige des Hochadels gezwungen, ihre Schlösser und Besitzungen zeitweise für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und ihre Räumlichkeiten zu zeigen. Das gilt auch für den 15. Herzog von Hamilton, obwohl er großen Wald-und Ackerbesitz sein eigen nennt und außerdem ein ansehnliches Gehalt als Parlamentsmitglied bezieht. Immerhin ist es verbürgt, dass Maria Stuart, die unglückliche Königin von Schottland, die später hingerichtet wurde, für eine Weile in seinem Schloss lebte. In einer Vitrine kann man das silberne Kästchen sehen, in dem die gefälschten Briefe aufbewahrt werden, die zu Maria Stuarts Hinrichtung führten.
Mir ist die quicklebendige dicke Köchin Clarissa lieber, die auf ihrem Motorrad durch die Lande braust und in allen Fernsehstationen die schottische Küche vorführt, mit der sie weit berühmter wurde als in ihrem früheren gelernten Beruf - sie war Staatsanwältin. In ihrer Schlossküche ist sie mehr zuhause als im Gerichtssaal. Und wenn man sie zwischen blitzenden Töpfen und erlesenem Porzellan ihre Lehrbuben herumkommandieren sieht, macht sie es einem leichter, der strengen Schlossführerin zu folgen. Clarissas witzige Anmerkungen lockern die Atmosphäre auf.
Die schottische Küche ist überhaupt ein guter Einstieg in dieses Land ganz im Norden Großbritanniens. Nur wenig kleiner als beispielsweise Österreich, unterscheidet sich Schottland nicht nur durch die Küche von seinem Mutterland, sondern auch in vielen anderen Dingen. Die Landschaft erinnert an Norwegen und hat, wie dieses, viel Wasser und Fjorde. Die zehn Millionen Schafe mit ihren schwarzen Gesichtern, die auf den weiten grünen Hügeln Tag und Nacht grasen, liefern den Schotten nicht nur wunderbare Wolle, sondern auch bestes Fleisch. Das wiederum versteht man hier aufs Beste zuzubereiten. In den Flüssen schwimmen Lachse und andere Fische; die dunkle Erde bringt erstklassige Kartoffeln und anderes Gemüse hervor. Die Schotten lieben es deftig und reichlich, und zwar bereits zum Frühstück. Solide, gute Hausmannskost zu moderaten Preisen findet man in den gemütlichen Kneipen und Restaurants im ganzen Land.
Wer jedoch glaubt, dass er hier das Nationalgetränk Whisky billig einkaufen kann, irrt gewaltig. Zur Zeit kostet im Supermarkt die preiswerteste Flasche um 20 Pfund - das sind etwa 30 Euro. Die guten Sorten sind noch wesentlich teurer. Das meiste davon kassiert die Steuer.
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